Text zur Predigt am 22./23.02.2020 – Feindesliebe

Zur Person François Xavier Nguyên Van Thuân gibt es hier mehr!

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Ein Weg zur Heiligkeit: Der gegenwärtige Augenblick

Nach meiner Festnahme im August 1975 werde ich während der Nacht von Saigon bis nach Nhatrang transportiert, eine Reise von 450 km in der Mitte zwischen zwei Polizisten.

Es beginnt für mich die Erfahrung eines Lebens als Gefangener Ich habe keinen Zeitplan mehr. Ein vietnamesisches Sprichwort sagt: »Ein Tag im Gefängnis zählt so viel wie tausend Herbste in Freiheit.« Ich habe das erlebt: Im Gefängnis warten alle auf die Befreiung, jeden Tag, jede Minute.

Eine Flut verworrener Gefühle wühlt mein Inneres in jenen Tagen und Monaten auf: Traurigkeit, Furcht, Spannung. Mein Herz ist zerrissen wegen der Entfernung von meinem Volk. Im Dunkel der Nacht, mitten in diesem Ozean von Angst, komme ich ganz allmählich zu mir. »Ich muss mich mit der Realität auseinandersetzen. Ich befinde mich im Gefängnis. Wenn ich auf den geeigneten Moment warte, um etwas wirklich Großes zu vollbringen, wie oft werden sich mir solche Gelegenheiten bieten? Nur eines gibt es, was mit Sicherheit kommen wird: der Tod. Es ist nötig, dass ich die Gelegenheiten ergreife, die sich jeden Tag bieten, um gewöhnliche Dinge in außergewöhnlicher Weise zu vollbringend

In den langen Nächten im Gefängnis sehe ich ein, dass der einfachste und sicherste Weg zur Heiligkeit der ist, den gegenwärtigen Moment zu leben. Aus dieser Überzeugung heraus entsteht ein Gebet:

„Jesus, ich werde nicht warten, ich lebe den gegenwärtigen Moment, indem ich ihn ausfülle mit Liebe.

Die gerade Linie setzt sich zusammen aus Millionen von kleinen Punkten, die miteinander verbunden sind.

Auch mein Leben setzt sich zusammen aus Millionen von Sekunden und Minuten, die miteinander verbunden sind.

Sorge ich dafür, dass jeder einzelne Punkt sich vollkommen ordentlich an den anderen fügt, so wird die Linie gerade sein.

Lebe ich jede Minute in Vollkommenheit, wird das Leben heilig sein. Den Weg der Hoffnung bilden kleine Schritte der Hoffnung.

Das Leben der Hoffnung bilden die kurzen Minuten der Hoffnung. Wie du, Jesus, der du immer das getan hast, was deinem Vater gefällt.

Jede Minute will ich zu dir sagen: Jesus, ich liebe dich, mein Leben ist immer ein „neuer und ewiger Bund“ mit dir.

Jede Minute will ich mit der ganzen Kirche singen: „Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist …“

 

Aus: Nguyen, Van-Thuan: Hoffnung die uns trägt, Herder 2001, ISBN: 3-451-27419-1

Text zur Predigt am 21./22.09.2019

Nur für heute- Die Zehn Regeln der Gelassenheit – vom Heilgen Papst Johannes XXIII (+1963)

Nur für heute werde ich versuchen, im guten Sinn für diesen Tag zu leben, ohne alle Probleme meines Lebens auf einmal lösen zu wollen.

Nur für heute werde ich größte Sorgfalt auf mein Auftreten legen: mich zurückhaltend kleiden, nicht laut werden, höflich sein im Umgang; ich werde niemanden kritisieren, verbessern oder zurechtweisen — außer mich selbst.

Nur für heute werde ich glücklich sein in der Gewissheit, dass ich ins Leben gerufen wurde, um glücklich zu sein — nicht nur in der anderen Welt, sondern auch in dieser.

Nur für heute werde ich mich den Umständen anpassen, ohne zu erwarten, daß alle Umstände sich nach meinen Wünschen richten.

Nur für heute werde ich zehn Minuten meiner Zeit einer guten Lektüre widmen; denn wie Nahrung notwendig ist für das Leben des Leibes, so ist gute Lektüre notwendig für das Leben der Seele.

Nur für heute werde ich eine gute Tat tun und niemandem davon erzählen.

Nur für heute werde ich wenigstens eine einzige Sache tun, zu der ich mich überwinden muss; wenn meine Gefühle dabei verletzt werden, so werde ich es niemanden merken lassen.

Nur für heute werde ich mir einen genauen Plan machen; auch wenn ich ihn dann vielleicht nicht Wort für Wort befolge, werde ich ihn aufstellen — und ich werde mich vor zwei Übeln in Acht nehmen: vor Hektik und vor Unentschlossenheit.

Nur für heute werde ich keine Angst haben. Insbesondere werde ich keine Angst davor haben, mich an allem Schönen zu freuen und an das Gute zu glauben. Auch wenn mich der Gedanke, es mein Leben lang so machen zu müssen, bestürzen würde, so kann ich es doch gewiss tun für zwölf Stunden.

Nur für heute werde ich mich darauf verlassen, auch allem anderen Anschein zum Trotz, dass die gütige Vorsehung Gottes sich meiner annimmt, als gäbe es sonst niemanden auf der Welt.

Eine gute Ausfaltung dieser Gedanken findet sich hier.

Text zur Predigt am 17./18.11.2018

Kerzenlicht und Sonnenschein

 „Der Mensch dürstet nach Gemeinschaft.  Deshalb sucht er die Freundschaft, bisweilen jede beliebige Freundschaft. … Das Herz des Menschen ist gemacht, um zu lieben.

Man findet Freunde, bindet sich an Gefährten, … Doch häufig klammert man sich an sie, sucht bei ihnen Halt und stützt sich auf sie ab. Irgendwann kommt dann für fast alle die Stunde der Trennung. Gott liebt uns mit einer fürsorglichen Liebe, die keine Illusionen weckt. Er bewahrt uns nicht davor, eine Leere zu erfahren, die den getrübten Augen der Menschen grausam erscheint. So etwa, wenn der Tod einen der besten Freund oder einen nahen Verwandten nimmt. Doch wenn uns ein solcher Schlag trifft, gehen wir in uns; zumindest für einen Moment richten wir uns innerlich neu aus: Wir geben Gott wieder den Platz, der ihm gebührt. Nichtiges räumen wir beiseite, Zerstreuungen kommen uns erst gar nicht in den Sinn, und wir finden aufs Neue das rechte Gleichgewicht. Wie ein Strudel hat der Schmerz die Seele in die Wahrheit hineingezogen. 

Diese Wahrheit ist erschütternd, doch zugleich ist sie schön und unwiderstehlich, erhaben und tröstlich für den, der es wagt, ihr ins Antlitz zu schauen.  Alles vergeht. Alles ist Eitelkeit. In diesem Leben begreift man recht bald und sehr wohl, dass diese Welt mit ihrer Gestalt vergeht.  …

Nur wer sich über all dies hinweg an dich wendet, Herr, und deinen Worten entsprechend hinter dem Kreuz dich sucht, wird nicht enttäuscht.  … Wer dich ein wenig kennt, weiß, wie leer der Ruhm der Welt ist und das, wofür sie schwärmt; als leer empfindet er ein Haus, in dem noch so viele Menschen sind, du aber fehlst. Denn wer das Vorzimmer des Kreuzes durchschnitten hat, kennt deine leise Gegenwart; zum Greifen nah bist du seiner Seele, und dein Dasein erfüllt sie mit einem besonderen Klang. Auch wenn er sich mit seinem ganzen Sein in rastlosem Tun verzehrt, verlangt er danach, in dir bleiben zu können. Denn in dir findet er Ruhe, in dir ist seine Seele gleichsam in ihrem Element. Er hat erfahren, dass du ihm Leben gibst, du bist das Leben seines Lebens, Grund und Ursprung all seines Lebens: des physischen, geistlichen und göttlichen. Dann schwindet jeder andere Wunsch nach Gemeinschaft. Denn eingesenkt in die abgrundtiefe Liebe, die Gott uns bereitet hat, verliert sich auch die tiefste Sehnsucht nach Freundschaft wie der Schein einer Kerze im Sonnenlicht.“

 Chiara Lubich

Pastor Ulrich Pliesch zum Silbernen Priesterjubiläum 28.5.2017

Sie werden auf den schauen, den sie durchbohrt haben.
(Joh 19, 37)

Das ist mein Primizspruch.Vielleicht ein bisschen ungewöhnlich.
Als es vor der Priesterweihe darum ging, einen Primizspruch auszuwählen, wusste ich sofort, dass es der Spruch dort oben ist.
Ich habe so oft vor meinem Kreuz in meinem Zimmer oder Wohnung gesessen und es eigentlich einfach nur angeschaut – in meiner Jugend, meiner Studentenzeit in Frankfurt und in den jetzt schon vielen Jahren, als ich dann Priester war.
Alles war da: die Kirche, die ich im Herzen trug, alle, um die ich Sorge hatte, alle, die ich liebte, und meine eigene, manchmal große, Not.
Ich wurde immer getröstet.

Kreuz